Efraim Presse 2

Sei, wer du bist

„So ziemlich das Letzte, was man bei einem Theaterstück über Pipi Langstrumpf erwarten würde, ist eine Hymne auf die kleine Annika, die zaghafte, immer ordentlich gekämmte Freundin. Aber Manuela Neudegger, Silvie Marks und Stefanie Mrachacz stehen auf der Bühne des Theaterhauses, spielen mit Mini-Keyboard, Blockflöte und Triangel „Hit Me, Baby, One More Time“ von Britney Spears und singen dazu schwärmerisch: „Oh, Annika, du Mädchen in Rosa, du hast den Mut, noch klein zu sein!“

Los geht es anders. „Danke, liebe Astrid Lindgren“, sagt Silvie Marks zu Beginn, „danke für meine Heldin.“ Denn eigentlich soll das Stück der Gruppe „pulk fiktion“ ja eine Homage an eine Kinderbuchfigur sein, die all die Klischeebilder davon, was Mädchen sein sollen, über den Haufen geworfen hat. Die drei Schauspielerinnen auf der Bühne setzen sich also orangerote Zopfperücken auf, nehmen ihr Bühnenbild-Wohnzimmer auseinander und träumen davon, Ritter zu sein und sich nichts gefallen lassen zu müssen.

Sie sind, wie Pipi, „Efraims Töchter“, und ihr Stück richtet sich nicht an die kleinsten Pipi-Leser, sondern an diejenigen, die schon vor der Frage stehen: Wer will ich sein und was wird im Leben von mir erwartet? Regisseurin Hannah Biedermann ist dabei eine ungewöhnlich differenzierte Auseinandersetzung mit den Problemen des Erwachsenwerdens gelungen, die auch ältere Zuschauer begeistern dürfte: eine sehr lustige, sehr sanfte und vielschichtige Auseinandersetzung nicht nur mit dem Haudrauf-Pipi-Mythos, sondern auch insgesamt mit weiblichen Rollenmustern.
Drei fantastisch aufgelegte Schauspielerinnen machen hierfür auf der Bühne viel Musik, schauen sich gemeinsam die alten Pipi-Fernsehfolgen an und synchronisieren sie neu, machen Handstand, trinken Capri-Sonne und lassen gut gelaunt die Fetzen fliegen.
Es bleibt jedoch nicht dabei. Mehr und mehr verwandelt sich das Stück in eine Erkundung auch von Ängsten, von Außenseitertum und Gruppenzwang. Die drei Ersatz-Pipis erzählen von ihrer Panik auf dem Drei-Meter-Brett und von der Last, unbedingt besonders mutig sein zu müssen. Dabei kommt dann auch Pipi Langstrumpf selbst zu einem überraschenden Fall. Was ist das für ein Mädchen, das nicht weint und immer fröhlich ist, obwohl es keine Eltern hat, das immer stark sein muss und keine Ängste kennt? Die Antwort, die Efraims Töchter geben, ist brutal und tröstlich zugleich: Eine literarische Lüge.
Sei, wer du bist! Weil es sich direkt an Kinder und junge Erwachsene wendet, spricht dieses mitreißende, anrührende, urkomische Stück seine Botschaft direkt aus. Und rehabilitiert damit auch ein für allemal die kleine Annika mit ihren ordentlich gekämten Haaren. Auch sie kann eine Heldin sein. “

von André Mumot
Hildesheimer Allgemeine Zeitung, Lokales, 19.10.2009